Wolfgang Baur: Tirpitz History Fiction
7,00 €
Beschreibung
50 Seiten, gejeftet
ISBN 978-3-88410-050-9 , 7.00 €
Titelbild von Ulrich Baur
Textprobe
Tirpitz starb, und er kam in die Hölle. Dies überraschte ihn nicht. Daß
es gerecht zugehe auf der Welt, hatte er noch nie erwartet. Daß seine
Verdienste entsprechend gewürdigt wurden, wagte er nie zu hoffen.
Diese Maxime hatte er sich schon in seiner Gymnasiastenzeit zueigen
gemacht und sogar einmal einen Aufsatz darüber geschrieben. In der
Hölle traf Tirpitz eine Reihe bemerkenswerter Persönlichkeiten. Der
Gesprächsstoff ging nicht so schnell aus. Zahlreiche Prominente, dar~
unter viele Staatsmänner, hatten sich eingefunden, um ihre Memoiren zu
schreiben und daraus vorzulesen. Fast niemand hatte in seinem tätigen Leben dazu
die Zeit gefunden. Die Luft war erfüllt von Erinnerungen. Es war heiß.
Papier und Stifte lagen überall herum, auch Tonbandgeräte konnte man
benützen. Große Aktenschränke standen bereit, um Ordnung zu schaffen,
alphabetische Register. Tirpitz wunderte sich, daß er zahlreiche Matrosen
wiedererkannte von seiner Schlachtschiff- Flotte, die auch hier lebten
mit einer Selbstverständlichkeit, als hätten sie nie anderswo gelebt.
Wußten sie überhaupt, wo sie waren? Tirpitz wollte schon mit ihnen re~
den und sie aufklären, dann hielt ihn doch eine unerklärliche Scheu zu~
rück. War er berechtigt, irgend jemand seine Illusionen zu nehmen? Ge~
nügte es nicht, wenn er selbst keine Illusionen hatte! So begann auch
Tirpitz, seine Memoiren zu schreiben. Zuerst fiel ihm gar nichts ein. Erst
als er seine Merkzettel aus der Jackentasche der letzten Jahrzehnte
kramte, kamen ihm allmählich die Einfälle. Er hatte die Angewohnheit
gehabt, alles, was er sich merken sollte, auf Zettel zu schreiben und in
seiner Jackentasche parat zu halten. Davon zehrte er nun. Die Merkzettel
waren gleichsam seine Nahrung. Wehe, wenn sie aufgebraucht waren.
Tirpitz ließ sich Zeit. Er hatte ja Zeit. Die Matrosen hatten die Aufgabe,
die Bleistifte zu spitzen. Das war eine leichte Aufgabe. Auch den Abfall
mußten sie wegbringen.Sie arbeiteten fast geräuschlos. In ihrer Freizeit
betrieben sie das Tontaubenschießen mit Leidenschaft.Tirpitz vermißte
schmerzlich seinen Kaiser, den obersten Befehlshaber zu Wasser und zu
Lande. Wahrscheinlich befand sich der Kaiser im Himmel und langweilte
sich tödlich. Tirpitz fand keine Gelegenheit, mit ihm Kontakt aufzunehmen.
Dies war nämlich untersagt und außerdem unmöglich. Eine postalische
Verbindung gab es nicht. Telefonische Leitungen waren zwar vorhanden.
Wählte man aber eine Nummer außerhalb des zugänglichen Bereichs,
ertönte einfach das Belegtzeichen, so oft man auch wählte. Gerüchten
zufolge war die Verbindung immer kurz nach Mitternacht für wenige
Sekunden frei - wer dann die richtige Nummer wählte, kam durch und
konnte reden, solang er wollte. Aber Tirpitz schlief zu jenem späten
Zeitpunkt bereits tief, er pflegte zeitig ins Bett zu gehen, und früh
aufzustehen. So hörte er in den himmlischen Telefonleitungen zeitlebens
nur das Belegtzeichen.