Ursula Baur: Im Keller ist es dunkel

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Beschreibung

Geschichten und Gedanken, 154 Seiten, gebunden. ISBN 978-3-88410-067-7


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Im Keller ist es dunkel - Geschichten und Gedanken

Von Achtsamkeit, Geduld und Eifersucht über Erbarmen, Mitleid und Neugier bis hin zu Treue, Wut und Zorn geht in den Märchen das ABC der Gefühle, Haltungen und Eigenschaften; dazu gehören z.B. auch abgrundtiefer Haß und unbeirrbare Liebe, Treue und Verrat, List und Tücke und die Kühnheit, Unmögliches zu verlangen. Kein noch so großes Hindernis wird den Märchenhelden davon abhalten, sein Glück zu finden; selbst etwas so Winziges wie eine Ameise verhilft der Märchenheldin zu ihrem Prinzen. Wem auch immer das Leben gelingt, für den verliert der Tod seinen Schrecken (Geschichten fürs Leben).

Ohne Einwirkung von Hexen oder Zauberern ist ein unscheinbares, unschuldiges Ding aus seinem normalen Leben herausgerissen worden und hat jahrzehntelang seinen Aufenthaltsort wechseln und sein Geheimnis für sich behalten müssen, bis - (Jetzt).

In (Gruppen-) Kinderspielen geht es nicht wie in den Märchen darum, das Glück des Lebens zu finden, sondern um ein spielerisches Sich-Orientieren in der Gesellschaft, deren Regeln man kennenlernen und einüben muß (Spiele).

Auch wenn man am liebsten vergessen würde, was passiert ist - das Gedächtnis kümmert sich nicht darum (Sich erinnern, Die Rettung der Schmerzen, Ein unvergeßlicher Fall).

Ein exotisches Gewürz (Safran), ein festlich geschmückter Baum (Der erste Christbaum) und die Struktur von Schnee (Schneekristall) haben ihren eigenen Zauber - und bleiben lange in Erinnerung.

Am hellichten Tag radelt eine hungrige Studentin durch den Park - da kommt ihr eine schwerbepackte, schwitzende Frau entgegen, die das Angebot, die vielen Plastiktüten auf's Rad zu laden, zunächst ablehnt, dann aber doch annimmt. Während es nun zu zweit kreuz und quer durch München geht, erklärt die Frau, was Wohl und Weh der Welt mit ihr persönlich zu tun haben. "Der Himmel hat Sie mir geschickt!" sagt sie zwischendurch immer wieder - und wer weiß, wie es weitergegangen wäre, hätte die Studentin sich nicht doch noch - bei Einbruch der Dunkelheit - losreißen können (Im Englischen Garten).

Viele Träume beziehen sich auf Tagesereignisse - andere scheinen von weit her zu kommen, wo die Grenzen zwischen Tod und Leben nicht gelten (Träume). Man kann da noch einmal eine andere Welt erleben, völlig losgelöst von der Erde, auf der man dann landet (Sternentraum), oder im voraus seelenruhig seinen eigenen Tod besiegeln (Symmetrie).

Der Tod beendet unser Leben, aber er strukturiert es auch, hält es (und uns) auch fest (Auf Leben und Tod).

Hilflos wirkt unsere Sprache, wenn sie Absolutes beschreiben soll - vielleicht ist das schon ein Symptom für den Verlust der Einheit von Ich und Welt (Mir fehlen die Worte, Zwei Welten).

Mit paradoxen Formulierungen lassen sich mystische Erfahrungen immerhin andeuten (Kein Traum).

Manchmal geht es gar nicht darum, ob etwas gelingt oder glückt - wesentlich ist bloß, daß alles so ist, wie es sein soll, und man sich selbst frei fühlt, gerade indem man will, daß geschieht, was geschieht (Wie von selbst).

Textprobe


Wie von selbst

Es ist schon sehr lange her, ich war, glaube ich, noch gar nicht mit der Schule fertig, da machte ich im Sommer wieder einmal eine meiner geliebten Radtouren in Richtung Alpen. An einem Bahnübergang wartete ich neben einer Frau. Wir unterhielten uns über das schöne Wetter, und als die Schranke wieder hochging, schenkte mir die Frau einfach aus ihrem Einkaufskorb einen schönen, großen Pfirsich. Ich freute mich sehr über diese überraschende Gabe der Unbekannten. Vergnügt radelte ich weiter in den heißen Sommertag hinein, in der linken Hand den Pfirsich. Das war ein bißchen gefährlich, leicht könnte ich ihn zerdrücken oder fallenlassen - eigentlich wäre es das Gescheiteste, ihn gleich aufzuessen, dachte ich mir. Obwohl er, fand ich, fast zu schön war, um aufgegessen zu werden. Etwas langsamer fuhr ich weiter, ich würde ihn während des Fahrens doch essen. Gerade wollte ich hineinbeißen, da sah ich schräg gegenüber am Straßenrand ein Kind mit seiner Mutter. Das Kind, vielleicht 6, 7 Jahre alt, schaute zu mir her - oder schaute es zum Pfirsich? Alles ging wie von selbst. Ich warf den Pfirsich aus meiner linken Hand in weitem Bogen zu dem Kind auf die andere Straßenseite hinüber, das Kind fing den Pfirsich mühelos und sicher mit beiden Händen auf, begann zu lächeln und die Mutter hatte wohl erst jetzt die Transaktion so richtig mitbekommen und drehte ihr Gesicht nach mir um. Dann waren beide von der Bildfläche verschwunden, mitsamt meinem Pfirsich. Ich war ja, zwar langsam, aber doch weitergeradelt und fuhr nun schneller. Die Bäume flogen rechts und links vorüber, und ich fühlte mich unbeschreiblich leicht und frei. Ich hatte keine Sekunde überlegt, den geschenkten Pfirsich einfach losgeschickt, weitergeschenkt. Als ich ihn geschenkt bekam, war ich schon voller Freude gewesen, aber jetzt war ich in einer Stimmung, die sich schwer beschreiben läßt: "vollkommen glücklich" fällt mir als einziges ein - leider klingt das so abgedroschen, aber vielleicht wird deutlicher, wie ich mich gefühlt habe, wenn ich sage, daß es vor allem auf das "vollkommen" ankommt. Es war eine fast unpersönliche und unaufgeregte Form des Glücks, ein Gefühl, das ganz und gar nicht mit Herzklopfen verbunden ist, sondern im Gegenteil, mit einer Leichtigkeit, einer Aufhebung der Schwerkraft, ohne daß einem nur im geringsten schwindlig würde dabei. Woher hatte ich gewußt, daß der Pfirsich aufgefangen würde? Wieso hatte ich nicht gezögert mit meinem Wurf? Ich hatte nicht bedacht, was alles schiefgehen könnte. Was, wenn der Pfirsich dem Kind auf den Kopf gefallen wäre? Oder auf den Boden? Woher hatte ich überhaupt die Sicherheit, daß es den Pfirsich haben wollte? Ich hatte mir überhaupt nichts dabei gedacht. Das Gefühl, es kommt auf nichts an, ich muß nichts tun, aber ich tu es einfach, ohne besonderen Grund, und ohne mögliche Folgen zu bedenken, und es gelingt - die ruhigste Form des Glücks, das Gelingen.


Kein Traum

Wegen welcher Besorgung es uns hierher verschlagen hat, weiß ich nicht mehr. Ich bin mit meinem einjährigen Töchterchen an einem Sandplatz in der Nähe des S-Bahnhofs. Betongraue oder buntangestrichene Hochhäuser, dazwischen eine Wiese, darin das Sand-Viereck, von Holzbalken begrenzt. Mein Kind spielt im Sand. Ich stehe neben ihm und hab etwas Sand in meiner Hand und presse wohl, er knirscht. Dieses Geräusch erlebe ich mit einer uneingeschränkten Freude, die den öden Ort, den kalten Wind, die Sonne, mein geliebtes Kind und den Holzbalken, alles einschließt. Unterschiedslos nahe fühle ich mich allem, was um mich herum ist. Lebendig. Alles ist lebendig. Ich könnte ein Sandkorn in meiner Hand sein.